In Abwesenheit
Sammlungspräsentation Fotografie
03.03.2024 - 08.09.2024
Eröffnung: 3. März 2024, 14–18 Uhr
Tamibé Bourdanné, Olafur Eliasson, Jan Paul Evers, Jef Geys, Dominique Gonzalez-Foerster, Thomas Grünfeld, Germaine Kruip, Taiyo Onorato & Nico Krebs, Martin Parr, Émilie Pitoiset, Man Ray, Ugo Rondinone, Thomas Ruff, Thomas Struth, Stephen Shore, Martina Sauter, Tamary Kudita, u.a.
„A photograph is both a pseudo-presence and a token of absence. Like a wood fire in a room, photographs – especially those of people, of distant landscapes and faraway cities, of the vanished past – are incitements to reverie.“
– Susan Sontag, On Photography, 1977
Die Sammlung Philara freut sich, mit In Abwesenheit eine kuratierte Ausstellung zur Fotografie zu zeigen. Die präsentierten Arbeiten umfassen eine Zeitspanne von fast einem Jahrhundert: von den Anfängen der surrealistischen Fotografie in den 1920er-Jahren über die Schwarz-Weiß-Aufnahmen der 1960er und 1970er bis hin zu zeitgenössischen Iterationen der digitalen und analogen Fotografie. Die Werke vereint eine intensive Beschäftigung mit Fragen von Abwesenheit, Leerstellen und Mangel. Dabei greifen sie verschiedenste Fragestellungen sowohl zur physischen Beschaffenheit der Fotografie und ihren technischen Voraussetzungen als auch zu weiterreichenden Aspekten wie spekulativer Fiktion, Zugehörigkeit, Nostalgie und Verunklärung auf.
Einige der Arbeiten beschäftigen sich konkret mit der Abwesenheit der Kamera – mit der kameralosen Fotografie. So zum Beispiel Thomas Ruff, der in seiner Serie phg mit Hilfe digitaler Renderings Bildkompositionen erschafft, die Fotogrammen nachempfunden sind. Germaine Kruips Installation eines Spiegels und dessen Lichtreflexion evoziert über simple geometrische Formen und das Spiel aus Licht und Schatten intime Momente des kollektiven Schauens, die nicht einmal das Medium Fotografie bedienen. Dennoch weckt Untitled Circle mit seiner elliptischen Spiegelfläche Assoziationen mit den Ursprüngen fotografischer Apparaturen, beispielsweise dem Polieren von Spiegelflächen für die Daguerreotypie oder der Spiegelreflexion der Camera obscura.
Andere Werke entstehen gerade aus einem gezielt eingesetzten Mangel an Kontext in Bezug auf Identität und geschichtliche Verortung der abgebildeten Personen. Verewigen Fotografien auch einen Ausschnitt eines Moments, eines Ereignisses oder einer Person, existieren sie doch losgelöst vom Anker ihrer Realität und ihres Entstehungskontextes. Émilie Pitoiset beispielsweise verwandelt in ihrer mehrteiligen Installation Giselle, benannt nach dem gleichnamigen Ballett über eine Frau, die nach ihrem Selbstmord zu einem tanzenden Geist wird, gefundene Fotos unbekannter Personen aus den 1920er bis 1950er-Jahren in weitere Abbilder der tragischen Hauptfigur des Stücks. Dominique Gonzalez-Foerster versetzt sich in ihrer Collage Florence & Constantin (Jardin Brancusi) in die Position der Porträtfotografin Florence Meyer Homolka[1]und stellt eine Fotografie nach, die Constantin Brancusi 1932 von ihr in seinem Atelier aufnahm.
Wiederum andere befassen sich mit der Manipulation von Bildern und nutzen spielerisch ihre Veränderlichkeit. Die stetige Weiterentwicklung technischer und digitaler Möglichkeiten der Bildbearbeitung weicht das Konzept der originalgetreuen Abbildung, welches die Fotografie unterläuft, auf. Dadurch eröffnen sich neue Grenzräume fantastischer Spekulation, die mit Imaginationen, beispielsweise um Gender, gefüllt werden können. Ugo Rondinones Ausstellung I don’t live here anymore, aus der die gleichnamige Edition hervorgegangen ist, beschreibt eine Suche nach einem tieferen Verständnis für das eigene Selbst. In seiner Selbstinszenierung stellt Rondinone sich als zeitlos-androgynen Cyborg dar, dessen Handprothese beinahe nostalgisch von vergangenen Zeiten statt einer unbestimmten Zukunft zeugt. Tamary Kudita untersucht in ihrer Serie Sights Unseen III, inwiefern selektive Geschichtsschreibung die Lebensrealität Schwarzer Menschen in der Gegenwart formt. Sie nutzt Strategien der Aneignung und Re-kontextualisierung sowie der Subversion und Überlagerung von historisch weiß dominierter und zeitgenössischer Ästhetik, um die Vielschichtigkeit von Identität sichtbar zu machen und simplifizierende, kolonial geprägte Lesarten Schwarzer Kultur zu untergraben. So tragen ihre Modelle etwa viktorianisch anmutende Kleider, die aus afrikanischen Stoffen gefertigt wurden. Diese Geste ist nicht nur ein Symbol für die Vielfalt von Identitäten, sondern unterläuft auch den sozialen Stellenwert von Kleidung als Marker von Zugehörigkeit.
Kuratorinnen der Ausstellung: Julika Bosch, Hannah Niemeier
Kuratorische Assistenz: Dana M. A. Bulic
[1] Auch bekannt als Florence Meyer oder Florence Homolka
Jan Paul Evers
Germaine Kruip
Photo: Kai Werner Schmidt
Tamary Kudita
Émilie Pitoiset
Photo: Kai Werner Schmidt